Auf dem Sommerfest.

Ich war ein bisschen früh dran, denn ich wollte pünktlich sein. Den Festbeginn nicht verpassen, dachte ich mir. Sagt man uns nicht gerade das als „typisch deutsch“ nach? Ich musste über mich schmunzeln.

Als ich mich ein bisschen unter die Leute gemischt hatte, spürte ich eine freundliche und herzliche Atmosphäre. Schnell wurde mir klar, dass es heute mal nicht darauf ankommt, pünktlich zu sein. Das Fest beginnt dann, wenn alle da sind.

Pfarrer Zettler und Harald Rausch von den Aktiven Bürgern Lichtenfels eröffneten den Abend. Gemeinsam mit dem seit 2015 stattfindendem „Kaffee der Begegnung“ bildete das heutige Fest die 30. Veranstaltung dieser Reihe.

Die Gastgeber: Flüchtlinge aus aller Welt. Die Gäste: Mitglieder der Aktiven Bürger Lichtenfels, Gemeindemitglieder und Fremde. Fremd sein – wissen wir überhaupt, was das genau bedeutet? Wie ist das eigentlich, in ein fremdes Land zu kommen? Ich meine ganz bestimmt nicht den anstehenden Urlaub ans Mittelmeer oder den Arbeitseinsatz in einem fernen Land. Ich rede davon, entwurzelt zu werden und aus Angst fliehen zu müssen.

An diesem Abend durfte ich das erste Mal in meinem Leben ein äthiopisches Nationalgericht kosten. Dorowot: „Doro“ bedeutet auf Amharisch „Huhn“ und „Wot“ heißt „Eintopf“ oder „Soße“. Ich probierte also neugierig diese Mischung aus Fladen („Injera“), Huhn in Tomatensoße, gekochtem Ei, Quark, Grünkohl und scharfen Gewürzen („Berbere“). Seit zwei Tagen hatten Tegest und Meron gekocht, um uns allen ihre Tradition näher zu bringen. Das war ihnen wirklich gelungen.

„Dorowot“ – das äthiopische Nationalgericht. Das nächste Mal benehme ich mich, esse gefälligst anständig und zwar so wie es sich gehört: traditionell mit den Händen!

Fragen schossen mir immer wieder durch den Kopf. Wie zermürbend muss es sein, einen Beitrag leisten zu wollen, ohne jedoch eine Arbeitserlaubnis zu erhalten? Wie schwierig muss es sein, immer wieder aufs Neue durch den Formulardschungel zu steigen? Wie muss es sich anfühlen, nur auf begrenzte Zeit hier leben zu dürfen, in ständiger Angst morgen schon abgeschoben zu werden?

Genau diese Angst war es, die einen afghanischen Flüchtling aus Lichtenfels nach Frankreich trieb. In Deutschland hatte er ein sicheres Dach über dem Kopf, er hatte Deutsch gelernt und Freunde gefunden, er war beliebt. Das einzige was ihm fehlte, war der Ausblick, bleiben zu dürfen und nicht in ein von Krieg gezeichnetes Land zurückkehren zu müssen. Diese Angst wurde immer größer. So floh er nach Frankreich und tauschte sein neues Leben in Lichtenfels gegen ein neueres Leben in Frankreich ein. Dort lebt er nun auf der Straße. Er verlor vieles bei seiner Flucht aus Lichtenfels, jedoch konnte er eines für sich zurückgewinnen. Die Aussicht, keine Angst mehr haben zu müssen und bleiben zu dürfen. Am heutigen Abend war dieser Flüchtling Teil unseres Fests. Er grüßte seine Freunde in einem emotionalem Brief, den Erhard Schlottermüller zum Festhöhepunkt vorlas.

Plötzlich riss mich ein Gespräch aus meinen Gedanken. Ich lauschte. „Ja, ich habe Arbeit und Führerschein!“ Ein anderer berichtete freudestrahlend: „Wir haben eine Wohnung und möchten heiraten.“ Auf meine Nachfrage, warum Deutschland schön ist, antwortete er ohne zu überlegen: „Hier kann ich meine Qualifikation machen. Das ist gut.“ Ich freute mich für diese jungen Männer. Sie geben den Flüchtlingen wertvolle Hoffnung, die noch einen langen Weg vor sich haben und schenken den Menschen unbezahlbare Freude, die sich für Freiheit, Selbstständigkeit und Integration immer wieder aufs Neue einsetzen. Jeder dieser Flüchtlinge hat seine ganz eigene Geschichte und gleichzeitig Zukunft vor sich.

Abschließend sehe ich mich noch einmal um, höre Gespräche in Deutsch, Englisch und Afrikanisch und denke mir, es ist schön, Teil dieses kulturellen Austauschs gewesen zu sein. Viel Neues durfte ich kennenlernen und mich von dem großen Engagement einiger Lichtenfelser überzeugen. Bleibt für mich noch die Frage, woher diese Menschen tagtäglich die Kraft und den Mut nehmen, ein Ehrenamt gerade in diesem Bereich auszuführen. Schnell leuchtet mir ein, letztendlich reicht dies zurück zu unseren eigenen Wurzeln. Generationen vor uns erlebten aufs Bitterste Flucht, abscheuliche Verfolgung und sinnlosen Krieg. Sollte es daher nicht die Aufgabe unserer Gesellschaft sein, heute menschlicher denn je zu denken und handeln, statt einfach nur wegzusehen?

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